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Axiomen des Bewusstseins und Erleuchtung

Lieber Herr Messingschlager,

 

für Ihren ausführlichen Kommentar und die tiefgründigen Fragen zu den fünf Axiomen des Bewusstseins haben Sie vielen herzlichen Dank! Ich habe im Folgenden einige Anmerkungen hinzugefügt, die Ihre Fragen natürlich nicht in aller Fülle beantworten. Aber vielleicht sind sie ja etwas nützlich.


Frage: wird es mal eine Zeit geben, eine Insel der Zeit, oder einen Ort, eine Insel im Meer, oder gar unsere ganze Erde, in/auf der Eltern/Gesellschaft Kinder ohne Konzepte/Ideen von Gott und ohne Konzepte von Schuld/Trennung erziehen? Eine Erziehung, gegründet auf den 5 Axiomen des Bewusstseins.


Pf: Sobald Bewusstsein sich und seine Eigenschaften wiedererkennt, beeinflusst das viele Aktivitäten und Handlungen, sicher auch die Erziehung. Denn dann entfallen sämtliche mühseligen Kompensationen und Konzepte, die eine Vervollständigung der Person im „Außen“, in Gegenständen, Beziehungen, Substanzen, Fähigkeiten, Leistungen oder in einem vom Menschen getrennten Gott versprechen.   


Frage: Ich bin sehr glücklich, auf Sie gestoßen zu sein. Eine Suche bei Google mit den Begriffen „Nahtoderfahrung und Advaita“ hat mich an dritter Stelle auf Ihre Seite geführt. Als müsste es so sein, weil mich auch mein Weg zuerst zu ihm führte, beziehen sich die ersten Suchergebnisse auf „Das Mysterium der Einheit in der Vielheit“ von Stefan Ahmann.
Zu meiner Eingangsfrage zurück. Was ist die Erleuchtung, die Erkenntnis, das Verschmelzen mit dem Absoluten, im Hinblick auf die Axiome?


Pf: Meiner Erfahrung nach erschließt sich die Tragweite der Selbsterkenntnis, die sich in den Axiomen ausdrücken, nicht immer auf einen Schlag. Während es relativ einfach ist, sich als das wahrnehmende Bewusstsein in und hinter aller Erfahrung zu erkennen und seine nicht-Objekthaftigkeit zu begreifen, hält sich der Eindruck eines persönlichen Bewusstseins meist sehr hartnäckig. Anders ausgedrückt: Bewusstsein wird trotz einer gewissen Selbsterkenntnis nach wie vor als eine Eigenschaft des Körpers bzw. des Gehirns aufgefasst, die deren räumlichen und zeitlichen Begrenzungen unterliegt. Doch ist erst einmal ein Zweifel an dieser Auffassung aufgekeimt, dann fällt mehr und mehr auf, dass es keinerlei Beweis für diese Beschränkungen gibt und dass sie unserer direkten Erfahrung widersprechen. In unserer direkten Erfahrung als Bewusstsein sind wir entweder frei von allem Gegenständlichen oder mit allem Gegenständlichen verschmolzen, es gibt aber keine Trennung mehr zwischen einem Ausschnitt der Wirklichkeit, der wir scheinbar sind und einem anderen Ausschnitt, der wir nicht sind. Man könnte diese Entdeckung Erleuchtung nennen, aber es ist einfach die natürliche, unverstellte Sicht auf die Welt, die wir in jedem Moment schon immer so erfahren, aber eben aufgrund einer falschen Vorstellung meist nicht beachten.


Frage: Wenn 1-5 verinnerlicht und gelebt das Weltmodell eines Menschen wären, wäre er dann erleuchtet? Das fühlt sich so nüchtern und trocken an, so ganz ohne Gott. Aber ist es das womöglich? Die Gefühlsduselei nur als Beiwerk, als Überbleibsel unser Idee von Gott, einem Schöpfer?


Pf: Das „Weltmodell“ wäre frei von der Idee eines von uns Menschen getrennten Gottes. Hätte Gott ein von uns getrenntes Wesen, dann wäre sie/er nicht absolut und der Mensch würde sich ihr/ihm gleichstellen. Das aber ist Blasphemie. Das Verständnis eines absoluten Gottes bzw. einer letzten Einheit hinter den scheinbar getrennten Dingen steckt im Kern einer jeden Religion, wird aber durch das Rankenwerk der Religiosität meist fast vollständig verdeckt. Als nüchtern und trocken würde ich die Wahrheit aber nicht bezeichnen, eher als einfach und klar. Und selbst die Gefühlsduselei des Beiwerks verweist in alle ihrem Missverständnis und Götzendienst letztlich auch auf eine tiefere Wahrheit.  


Frage: Sind Sie erleuchtet, sind die Knoten in Ihrem Herzen durchtrennt, sind Sie EINS mit dem ABSOLUTEN?


Pf: Wir alle sind, wie gesagt, schon EINS mit dem ABSOLUTEN! Wir können das nicht „werden“.
Unsere Not ist der fälschliche Glaube, dass es anders wäre. Dieser Glaube geht auch einher mit entsprechenden Spannungen und Verengungen im Körpergefühl. Selbst wenn der falsche Glaube an die Trennung wegfällt, lösen sich, meiner Erfahrung nach, die alten Dispositionen und Muster erst langsam und möglicherweise nur unmerklich auf. Gleichzeitig macht sich aber auch die Erkenntnis breit, dass diese Heilung gar nicht mehr so wichtig ist. 


Frage: Wo nahm die Gläubigkeit unserer Vorfahren ihren Anfang?
Mussten Sie zuerst glauben, an eine höhere Macht, da sie die 5 Axiome noch nicht denken konnten?
Erreichten die Vormenschen erst über den Zusammenbruch der bikameralen Psyche (in der Sie Gottes Stimme inwendig in sich vernahmen und ihn deutlich von sich unterscheiden konnten) die Fähigkeit des „ich und die Welt und Gott über ihr“?


Pf: Bewusstsein als Ausdruck des Absoluten steht für mich jenseits eines menschlichen Entwicklungsprozesses. Auch Tiere besitzen einen bewussten Blick auf die Welt. Die Frage ist vielmehr andersherum: Wie kam es zu dem Entfremdungsprozess von Bewusstsein zu sich selbst? Und ist dieser Prozess ein notwendiger Zwischenschritt zu einem umfassenden Verständnis? Möglicherweise ist der Keim des Missverständnisses schon in der Ersten-Person-Perspektive angelegt, aus der die Welt wahrgenommen wird. Möglicherweise ist sie auch ein Beiprodukt der menschlichen Sprachentwicklung mit seinen Kategorisierungen der Weltwahrnehmung.  


Frage: Ich durchlebe derzeit eine Phase der Nüchternheit, ausgelöst durch den Prozess von neti-neti. Was bleibt dann übrig von dem Gefühlten wenn es keinen Fühler mehr gibt? Wer/was in mir fühlt sich dann ängstlich?


Pf: Ja, dass es keinen persönlichen Fühler gibt, ist eine wichtige Erkenntnis im neti-neti Prozess. Das heißt aber nicht, dass „nichts gefühlt“ wird. Im Gegenteil! Dass etwas gefühlt wird, ist die einzige unumstößliche Gewissheit, die wir haben. Wer fühlt? Das ist die entscheidende Frage!


Ich freue mich auf Ihr Buch, habe ich mir selbst unter den Baum gelegt

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Kommentare: 3
  • #1

    Thomas Messingschlager (Sonntag, 01 Januar 2023 18:30)

    Lieber Herr Pfrommer,
    zu meiner letzten Frage möchte ich nachhaken:

    Frage: Ich durchlebe derzeit eine Phase der Nüchternheit, ausgelöst durch den Prozess von neti-neti. Was bleibt dann übrig von dem Gefühlten wenn es keinen Fühler mehr gibt? Wer/was in mir fühlt sich dann ängstlich?
    ________________________________________
    Pf: Ja, dass es keinen persönlichen Fühler gibt, ist eine wichtige Erkenntnis im neti-neti Prozess. Das heißt aber nicht, dass „nichts gefühlt“ wird. Im Gegenteil! Dass etwas gefühlt wird, ist die einzige unumstößliche Gewissheit, die wir haben. Wer fühlt? Das ist die entscheidende Frage!

    Theoretisch weiß ich, dass das getrennte Selbst fühlt.
    Dann gibt es Tage wie heute, Neujahr, an denen ich in Schuld und Versagen versinke, Schuld empfinde, meinen Kindern gegenüber, denen ich ein „schlechter“ Vater glaube zu sein und Existenzangst in Bezug auf mich selbst fühle.
    Meine Selbsterforschung verläuft seit vielen Jahren in Wellen von oben genannten Empfindungen, mehrere Tage andauernd, mit Schmerz und Trauer verbunden, und Phasen, in denen ich auftauche und klare Gedanken der Erkenntnis sammeln kann.
    Die Wellentäler habe ich anfangs leicht mit Ablenkung (Dinge, Aktivitäten, Beziehungen) überwinden können. Nun „verliere“ ich mehr und mehr die Anbindung an diese Ablenkungsobjekte, empfinde keine Vorfreude auf bevorstehende Aktivitäten, mit denen ich mich sonst an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen konnte. Und diese „Unfähigkeit“ breitet sich nun auch auf meine Kinder aus, die ich so sehr liebe. Und das fühlt sich total …… an.
    Jetzt, da ich mich nicht mehr an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen kann, lerne ich in Widerstand, in diesen Tiefs auszuharren, ohne Aktivität.
    Wie wenn ich auf einem Trampolin hüpfen würde, ein Trampolin, dessen Sprungfläche mein getrenntes Selbst ist, und das mich bisher zuverlässig wieder in die Illusion zurückgeschleudert hat, je mehr ich in den Phasen eines Tiefs aktiv geworden bin.
    Und dass ich Ihnen das hier schreibe, ist wohl auch schon wieder so eine Aktivität, die mich aus dem Sumpf herauskatapultieren soll.
    Neulich, als mir die Metapher mit dem Trampolin kam, kam mir auch eine Idee für eine „Lösung“: Der Trampolinsprungfläche keine Energie geben, mit der sie mich wieder in die äußere Welt schleudern kann, auf der Sprungfläche zum Liegen kommen und mich da hineinsinken lassen, das schien die Aufgabe für den Moment zu sein.
    Will ich von Ihnen eine Lösung? Kann es die geben? Es ist ja nichts falsch an dem, was mir widerfährt. Ich mag es nur nicht aushalten müssen.
    Wer fühlt, wer mag es nicht aushalten müssen? Wie dem entkommen?
    Herzliche Grüße
    Thomas Messingschlager

  • #2

    Peter Pfrommer (Dienstag, 03 Januar 2023 10:51)

    Lieben Dank für Ihre vertrauensvolle Worte! Ich weiß sie zu schätzen.

    Zunächst ganz wichtig: Sie schreiben gleich eingangs, dass das getrennte Selbst fühlt. Nein! Es ist NICHT das „getrennte Ich/Selbst“, das fühlt. Das getrennte Ich bzw. die Person bestehen selbst nur aus Gedanken bzw. Gefühlen, die wahrgenommen werden. Das was fühlt, ist selbst kein Gedanke oder Gefühl! Kein Gedanke, keine Empfindung können etwas wahrnehmen. Das was wahrnimmt, was Sie tatsächlich SIND, ist völlig gegenstandslos, unveränderlich, unabhängig, unverletzbar und unzerstörbar. Da ihm nichts fehlt und nichts weggenommen werden kann, ist es immer in Frieden. Da es nach nichts verlangt, ist es immer im Glück. Sie sind also schon das Glück, nach dem Sie suchen!

    Ihre Metapher vom Trampolin gefällt mir sehr gut und auch Ihre Schlussfolgerung ist, meiner Ansicht nach, richtig. Wenn Sie in einer Phase der Niedergeschlagenheit (statt sich wie üblich abzulenken), den negativen Empfindungen zuwenden, dann werden Sie feststellen, dass die Gefühlswallungen gar nicht so heftig sind. Die Energie, die von diesen ausgeht, ist nicht unerträglich. Vielleicht ein Grummeln im Bauch, Versteifungen im Nacken, Engegefühle etc. Zahnschmerzen sind schlimmer. Stellen Sie sich z.B. die Frage, ob man mit diesen Empfindungen nicht eine Weile oder gar für immer leben könnte. Laden Sie die Empfindungen ein, ein wenig bei Ihnen zu bleiben, ihnen Gesellschaft zu leisten, z.B. zum Zweck der Selbsterforschung. Schauen Sie alles genau an. Wiegen Sie die Empfindung in sich wie ein kleines Kind. Sie können das aushalten! Sie sind der ewig offene Raum des Bewusstseins, in dem die Empfindungen auftauchen, eine Zeit lang Ihr Unwesen treiben und dann wieder verschwinden. Sie sind immer stärker als alles, was in Ihnen geschieht.

    Meiner Erfahrung nach verflüchtigen sich die negativen Empfindungen relativ schnell, wenn man sie genauer betrachtet. Das sollte aber nicht das Ziel sein. Das ist eher ein unerwünschter Nebeneffekt, da Ihnen damit die Objekte Ihrer Erforschung sozusagen abhandenkommen .

    Und: Sie sind nicht schuld an irgendetwas! Ja genau, es ist nichts falsch an dem, was Ihnen widerfährt. In einer Welt aus Naturgesetzen ist entweder das ganze Universum schuld oder niemand. Um schuld sein zu können, müssten Sie getrennt sein vom Rest der Welt. Aber eine solche Trennung gibt es nicht. Machen Sie sich die Tragweite dieser Tatsache klar! Die Liebe die daraus erwächst, ist das größte Geschenk, das Sie sich und Ihrer (scheinbaren) Umgebung machen können. Mehr ist nicht zu tun.

    Die Selbsterforschung ist übrigens kein Ablenkungsmanöver oder eine Kompensation schlechter Gefühle, auch nicht Ihre Fragen an mich. Sie wird entfacht und getragen von der Intuition, zurückkehren zu wollen zur eigenen Natur, die man zwar nie verlassen aber sehr geschickt übersehen hat. Jeder Mensch möchte das, manchmal direkt, manchmal auf sehr verschlungenen Pfaden. Ich habe den Eindruck, dass Sie schon weit vorgedrungen sind.

  • #3

    Thomas Messingschlager (Dienstag, 03 Januar 2023 17:12)

    Lieber Herr Pfrommer,
    wow, Ihre Rückmeldung ist unerwartet, hat mich sprachlos gemacht.
    Was die negativen Empfindungen angeht, bin ich mit der Metapher des Trampolins schon an den Punkt gekommen (nach Jahren der Wiederholung der Wellentäler), bei den Empfindungen zu bleiben.
    Allerdings sind diese Empfindungen schon sehr existenzieller Natur und die Qualität der Empfindungen hat sich in den vielen Wiederholungen nicht wirklich verändert, nur mein Umgang damit.
    Vielleicht werden sie sich nun verändern, wenn ich mich ihnen aussetze, das ist ja neu. Darüber hinaus habe ich jedoch das Bedürfnis mir Hilfe zu nehmen, mit den Empfindungen als Empfindungen umzugehen, sozusagen in einem begleitenden Prozess.
    Haben Sie mir hierfür vielleicht einen Kontakt, mit Hintergrund Advaita?
    Ich sende Ihnen über die Kontaktfunktion meine Kontaktdaten zu, damit Sie mir ggf. auf diesem Weg dann Namen und Kontaktdaten nennen können.
    Herzliche Grüße
    Thomas Messingschlager