Hochschul-Seminar "Wer ist Ich?"

Wie finde ich Glück? Gibt es Vorbestimmung oder ist alles Zufall? Habe ich einen freien Willen? Und, nun ja, wer frägt hier eigentlich? In den Seminaren "WER IST ICH? Eine Expedition zum Selbst" der HS Coburg wurden über viele Jahre diese und andere philosophisch und existentiell wertvolle Fragen diskutiert. Ein Zufall hat einige der Diskussionen bewahrt: Im Sommersemester 21 fand das Seminar pandemiebedingt auf Zoom statt. Daher existieren Film-Mitschnitte der verschiedenen Veranstaltungen. Einzelne kurze aussagekräftige Ausschnitte wurden nach und nach auf YouTube veröffentlicht.

Drei Stufen der Ich-Erkenntnis

Das Seminar am 09.06.21 widmte sich der Unbegrenztheit und Unpersönlichkeit des Bewusstseins. Im gezeigten Ausschnitt wird eine Brücke geschlagen von den bisherigen Experimenten zu den Fragen des aktuellen Seminars. Dabei wird die Ich-Erkenntnis als dreistufiges Modell beschrieben. Die erste Erkenntnis korrigiert die konventionelle Vorstellung, dass das Ich mit dem Körper bzw. Geist des Menschen gleich zu setzen sei. Es wird erkannt, dass die Substanz der Ich-Erfahrung mit dem wahrnehmenden Bewusstsein zu tun hat. Aber selbst nach dieser Erkenntnis verbleibt meist der hartnäckige Eindruck, dass dieses Ich-Bewusstsein ein Gehirnprodukt darstellt und somit die Begrenzungen des Körpers teilt. Erst die Auflösung dieser zweiten Konvention befreit von dem hartnäckigen und leidvollen Trennungsgedanken. Die dritte Erkenntnis betrifft die letzte verbleibende Trennung zwischen wahrnehmendem Bewusstsein (das ich bin) und der wahrgenommenen Welt (die ich scheinbar nicht bin).



Kausalität und Willensfreiheit

Die Gedanken- und Willensfreiheit ist ein viel diskutiertes Thema der Gehirnforschung und der Philosophiegeschichte. Hierzu existieren viele Untersuchungen, z.B. das berühmte Libet-Experiment, und populärwissenschaftliche Darstellungen. Grob stehen sich in der Frage zwei Grundanschauungen unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite gibt es die naturalistische Sicht, die mit Verweis auf die Naturgesetze jegliche Freiheit zurückweist. Dieser widerspricht die eigene subjektive Erfahrung der persönlichen Willensfreiheit. Das Dilemma löst sich erst auf, wenn die Aufmerksamkeit auf die Frage gelenkt wird, wer das denn ist, der hier Willensfreiheit haben oder nicht haben könnte. Es geht also primär gar nicht um Willensfreiheit, sondern um dasjenige, das sie haben könnte.  



Zufall, Schicksal und die Einheit der Welt

Die Welt bildet eine prozesshafte Einheit. Die Kausalität ist vergleichbar mit einem Kitt, der die Welt zusammenhält. Auch physikalisch hängen alle Weltvorgänge zusammen. Seit Einstein wissen wir, dass nicht einmal die früher als isoliert aufgefassten Kategorien Raum u. Zeit getrennt sind. Diese Einheit lässt sich aber nicht verstandesmäßig fassen. Wir neigen dazu, die Welt als "Ganzes" immer von außen zu betrachten. Doch dieses Außen gibt es nicht. Genausowenig gibt es einzelne Teilchen, die unabhängig voneinander agieren bzw. auftreten. Es gibt immer nur das "Ganze". Stellt man sich dieser ganz offensichtlichen Grundgegebenheit der Realität, dann erscheinen auch Themen wie Zufall oder Schicksal in einem ganz anderen Licht.



Denkfehler Dualismus

Wird Gegensätzliches nicht als zusammenhängendes Wechselspiel erkannt, dann werden daraus Dualismen, die sich scheinbar bekämpfen. Unser Leben wird von solchen Dualismen bzw. Polaritäten bestimmt. Ein schönes Beispiel dafür ist der scheinbare Gegensatz von Out-Group und In-Group, die sich gegenseitig bedingen.   
Es gibt Kontraste und Verschiedenheiten, aber keine Trennungen. Der Eindruck der Trennung entsteht durch eine Täuschung, durch die gedankliche Interpretation der Kontraste als unabhängige Einzelerscheinungen. Die Identifikation mit einem der Pole (z.B. mit dem „Guten“ im Gegensatzpaar „Gut und Böse“) führt zwangsläufig zu Leid. Denn alle Zustände im Wechselspiel gehen vorüber. Nur die Unbeständigkeit ist beständig. Irgendwann verlieren wir immer, mit was wir uns identifizieren. Dauerhaftes Glück ist daher nur in der Erkenntnis der Untrennbarkeit allen Seins zu finden.



Wir sind nicht unser Körper!

Die meisten Menschen setzen Ihre Identität gleich mit ihrem Körper, ihrem Geist oder einer Mischung von beidem. Insbesondere die Identifikation mit dem Körper ist stark ausgeprägt. Dabei lässt sich diese Auffassung schon durch einfache Überlegungen widerlegen. Der gezeigte Filmausschnitt greift einige dieser Überlegungen auf und verdeutlicht, weshalb der Körper keine Basis für eine Ich-Identität bieten kann.



Sie sind nicht Ihr Denken!

Die meisten Menschen setzen Ihre Identität gleich mit ihrem Körper, ihrem Geist oder einer Mischung von beidem. Besonders in der westlichen Welt identifizieren sich viele Menschen mit ihrem Denken. Sie halten sich für die Entscheiderin oder den Entscheider ihrer Gedanken. Einfache Experimente können jedoch recht schnell zeigen, dass eine solche Anschauung zu kurz greift und sich das Ich nicht auf das Denken reduzieren lässt. Die Gleichsetzung des Ichs mit dem Denken führt zu zahlreichen Paradoxien, die für unsere Alltagskommunikation nicht untypisch sind.  Der gezeigte Filmausschnitt greift einige dieser Paradoxien auf und verdeutlicht, weshalb das Denken keine Basis für eine Ich-Identität bieten kann.



Die Substanz des Ich

Unter der Substanz eines Stoffes versteht man die unveränderliche Essenz, die übrig bleibt, wenn man alles von dem Stoff wegnimmt, was sich entfernen lässt. So kann man im übertragenen Sinne die Substanz einer Wolke oder eines Eisbergs als das Wasser erkennen, aus dem die jeweilige Form besteht. Oder ein Schmuckstück reduziert sich auf das Gold, aus dem es geschmiedet wurde. Aber lässt sich eine solche unveränderliche Grundsubstanz auch für unsere Identität finden? Gibt es eine Essenz des Ich, die sich nicht entfernen lässt und zu jeder Zeit erhalten bleibt? Mit diesen Fragen befasst sich der vorliegende Filmausschnitt.   



Es gibt keine Zeit

Zeit existiert nur als Ordnungsschema in Gedanken. In Gedanken gibt es soetwas wie Vergangenheit und Zukunft. Dagegen erscheint uns in Gedanken die Gegenwart nicht greifbar. Sie ist sozusagen unendlich kurz. Tatsächlich erleben wir aber etwas komplett anderes. In unserem Erleben gibt es nur Gegenwart. Wir haben nie Vergangenheit oder Zukunft direkt erlebt. Alles was geschieht, geschieht im "jetzt". Dieses "jetzt" ist kein Zeitpunkt, sondern liegt außerhalb der Zeit. Das was wir sind, Bewusstsein, ist zeitlos und ewig. Der Filmausschnitt greist um diese Feststellung.



Individualität versus Einssein

Während die westliche Kultur die Wichtigkeit der Individualität hervorhebt, betonen die östlichen Philosophien und Religionen das Einssein aller Menschen und Dinge. Dies erscheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein. Bei näherer Betrachtung erkennt man allerdings, das beide Aspekte zwei Seiten der selben Medaille sind. Der kurze Filmausschnitt beleuchtet diesen Zusammenhang.



Überwindung der drei Ich-Konventionen

Viele Menschen verstehen relativ schnell, dass ihr "Ich" oder "Selbst" mit ihrem wahrnehmenden Bewusstsein gleichgesetzt werden kann. Allerdings halten sie dieses Bewusstsein selbst für ein Gehirnprodukt und damit für eine nachgeordente materielle Erscheinung, die die Begrenzungen des Körpers teilt. Mit dieser Vorstellung wird die Trennng des Individuums zementiert. Grund für diese hartnäckige Auffassung ist der insbesondere in den westlichen Kulturen übliche Materialismus. Betrachtet man diesen Materialismus allerdings näher, so stößt man auf verschiedene Widersprüche, die den gängigen Schlussfolgerungen zuwider laufen. Der hier gezeigte Filmausschnitt beschäftigt sich u.a. mit einem dieser Widersprüche. 



Sind wir im Tiefschlaf bewusst?

Normalerweise gehen wir davon aus, dass im Tiefschlaf das Bewusstsein sozusagen ausgeschaltet ist. Dies entspricht dem materialistischen Weltbild, wonach Bewusstsein ein Gehirnprodukt und damit eine Konsequenz der Materie darstellt. Wenn nun aber in umgekehrter Weise, Materie ein Produkt des Bewusstseins bzw. eine Vorstellung im Bewusstsein ist, dann dreht sich die Auffassung. Dann bedeutet Tiefschlaf nicht die Abwesenheit von Bewusstsein, sondern die Bewusstheit der Abwesenheit einer materiellen Welt (inkl. Raum und Zeit).



Wahrnehmung ohne "Ich"

Im Alltag gehen wir davon aus, dass sich jede Wahrnehmung in ein wahrnehmendes Subjekt und in die wahrgenommenen Objekte aufteilen lässt, z.B. im Satz "Ich sehe einen Baum". Man nennt diese Unterscheidung auch "Subekt-Objekt-Trennung". Untersucht man den Vorgang der Wahrnehmung aber genauer, so kann man diese Trennung nicht finden. Im Akt der Wahrnehmung fallen Subjekt und Objekt zusammen. Tatsächlich gibt es immer nur ein "Sehen des Baumes" oder ein "Spüren des Tisches", wobei das Objekt und seine Wahrnehmung verschmelzen.



Die Welt ist Bewusstsein

Eindrücke wie „Farbe“ und „Klang“ sind keine realen Bestandteile einer äußeren Welt, sondern Qualitäten des Bewusstseins. So steht z.B. die Farbe Grün für eine Lichtwellenlänge von 550 nm. Der Kammerton „a“ repräsentiert eine mechanische Schwingung von 440 Hz, der Geschmackseindruck „süß“ vertritt ein bestimmtes Zuckermolekül. Aber auch Wellenlänge, Schwingung und Molekül sind für sich genommen wiederrum Vorstellungen im Bewusstsein. Daraus folgt, dass niemand der Vorstellungswelt (dem Repräsentationsmodell) des Bewusstseins entkommen kann. Alles, von dem wir wissen, ist aus Bewusstsein gemacht.



Bewusstsein ist immer selbstbewusst

Die Aussage „Ich bin bewusst“ ist nur möglich, wenn ein Bewusstsein vorhanden ist, das dies bezeugt bzw. zur Kenntnis nimmt. Das Wissen um die eigene Bewusstheit stellt einen unendlichen Regress dar. Man kann sich diesen unendlichen Regress auch als einen inneren Beobachter vorstellen, der durch unsere Augen herausschaut. Um sehen zu können, bräuchte der innere Beobachter aber selbst wieder Augen und einen weiteren inneren Beobachter etc. Man nennt diesen Regress auch „Cartesisches Kino“. Da es diesen Beobachter im Beobachter offensichtlich nicht gibt, muss Bewusstsein zwingend immer selbstbewusst sein. Es gibt keine Trennung im Bewusstsein.