Folgende Fragen sind nicht wörtlich, sondern gekürzt oder in eigenen Worten sinngemäß wiedergegeben. Zum besseren Verständnis wurde sie auch teilweise neu sortiert und in Gruppen zusammengefasst.
Reinkarnation
Frage: Gibt es Reinkarnation?
Pfr: Das kommt darauf an, was man unter Reinkarnation versteht und wen sie betreffen soll. Zunächst eine Rückfrage: Wer sollte reinkarnieren? Die Person? Die Person als gewahres Wesen, als eigene Entität, die unabhängig existiert, gibt es nicht. Sehr grob betrachtet ist eine Person mit einem Filter vergleichbar. Dieser Filter ist auf der einen Seite in die Welt eingewoben, auf die er gerichtet ist. Er ist nicht unabhängig. Durch diesen Filter blickt Bewusstsein auf sich selbst. Und der Filter ist selbst aus Bewusstsein gemacht. Das wird am besten verständlich, wenn man einen Traum betrachtet. Die Traumfigur ist der Filter durch welchen das träumende Bewusstsein auf seine eigene Kreation, die Traumkulisse, blickt. Filter unterscheiden sich und betreffen nicht nur Menschen. Eine Fledermaus bietet ganz andere Erfahrungen als eine Katze. Doch dasjenige, das um die jeweiligen Erfahrungen weiß, bewusstes Sein, ist immer dasselbe. Es ist das Selbst. Das einzige Selbst, das es gibt. Dieses Selbst kann nicht inkarnieren. Es ist immer was es ist: Das Wissen um das eine Sein, um die eigene Anwesenheit. Dieses Wissen geht jeder Form voraus und steht hinter jeder objekthaften Erfahrung. Etwas Absolutes kann nicht inkarnieren. Und alles Relative, alles Formbehaftete hat keine eigene Lebensenergie. Es erlebt nicht, es wird erlebt.
Natürlich könnte man die Entstehung eines Filters bzw. eines Lebewesens als Inkarnation bezeichnen. Aber das wäre dann die Inkarnation des immer gleichen Selbst, nicht die Reinkarnation eines Lebewesens in einem anderen. Aber ich möchte etwas entgegenkommen: Wenn man Reinkarnation nicht über das gewahre Wesen, das Selbst an sich, sondern über bestimmte erfahrbare Formen oder Erinnerungen, also Gedankenformen, definiert, dann kann es so etwas wie Reinkarnation geben. Vorstellbar wäre, dass bestimmte Eigenschaften eines Filters auf einen anderen übergehen. Das ist ja ohnehin der Fall, da keine substantielle Unabhängigkeit zwischen den einzelnen Filtern bzw. zwischen den einzelnen Lebewesen existiert. Die Frage ist nur, wie weit der Austausch reicht. Was passiert z.B. mit Erinnerungen, wenn sich ein Filter auflöst? Ich würde Gedankenübertragung, die Erinnerung an vergangene Leben oder Déjà-vu nicht per se für unmöglich halten. Aber auf diesen Gebieten kenne ich mich nicht aus.
Ich und Bewusstsein
Frage: Sie schreiben in Ihrem Buch „Die Entdeckung der Ichlosigkeit“ immer wieder, dass es kein Ich gibt. Ich habe aber den unumstößlichen Eindruck, als ein Ich zu existieren, zu fühlen und zu denken.
Pfr: Ja genau. Das ist genau das, was Ihre tatsächliche Identität ausmacht. Sie sind kein Gedanke und auch keine Empfindung. Gedanken und Empfindungen kommen und gehen, Sie als das Wahrnehmende bleiben aber immer da. Sie sind immer anwesend. Sie sind der bewusste Hintergrund, der die Gedanken und Empfindungen bezeugt. Das ist, was Sie als Ich auffassen und das ist richtig so. Im genannten Buch bin ich vorsichtig, diese gewahre Gegenwärtigkeit als „Ich“ zu bezeichnen, weil der Verstand dieses Ich gleich wieder für sich einnimmt und ein individuelles, getrenntes Ich daraus formt. Ichlosigkeit meint ja nicht, dass Sie nicht existieren. Im Gegenteil, die Tatsache, dass Sie existieren ist Ihre einzige sichere Gewissheit!
Frage: Da möchte ich nachhaken. In der nondualen Szene wird derzeit häufig betont, dass diese Gleichsetzung des Ich mit dem gewahren Sein auch eine Identifikation darstellt, die die Wahrheit nicht trifft. Schon das „Ich bin“ sei eine Illusion. Tatsächlich gäbe es nur das, was passiert, aber niemanden, dem irgendetwas passiert. Wie sehen Sie das?
Pfr: Ich verstehe sehr gut, wie es zu solchen Aussagen kommt. Ich habe das ja selbst so ähnlich geschrieben. Wie gesagt, man will dem getrennten Ich keinen Rückzugsraum geben, nicht einmal im Gewahrsein. Das ist von der Intension her nachvollziehbar. Aber dabei wird natürlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Sie können jederzeit überprüfen, dass Sie als bewusstes Sein anwesend sind. Das lässt sich nicht leugnen. Dies zu bestreiten wäre zutiefst ignorant. Diese Haltung läuft auf eine rein materialistische Betrachtungsweise hinaus. Demnach gibt es nur Materie und die subjektive Erfahrung wird als illusionärer Trick der Materie bezeichnet. Das ist eine weit verbreitete Meinung in der Wissenschaft. Als Gegenargument hilft eine einzige Frage: Wenn das so ist, wer, bitte schön, hat die Illusion?
Frage: Manchmal wird gesagt, dass die Wahrheit jenseits von Sein und Nicht-Sein ist.
Pfr: Eine Wahrheit jenseits von Sein „gibt“ es nicht. Das wäre auch unlogisch.
Frage: Danke für die Klarstellung. Ich gebe zu, dass sich der Rückbezug auf das Sein sehr viel angenehmer anfühlt als die totale Leugnung jeglicher Existenz.
Pfr: Was sich nach Trennung und Mangel anfühlt ist selten wahr. Die Wahrheit ist vollständig, mangelfrei, licht und freudvoll.
Frage: Sie schreiben auch „Das Ich ist nicht die Ursache des Denkens, es ist ein Produkt des Denkens.“ Kann man das so einfach sagen?
Pfr: Ja, unsere Vorstellung von uns selbst, ein getrenntes Ich zu sein, ist ein Produkt des Denkens. Außer in Gedanken findet sie nicht statt. Sie sind aber nicht getrennt von Ihren Gedanken, Empfindungen und Gefühlen. Sie sind die bewusste Gegenwärtigkeit, die in diesem Moment die Form der Gedanken, Empfindungen und Gefühlen annimmt. Das lässt sich überprüfen. Es gibt keine Trennung, nirgendwo.
Frage: Wie soll ich das überprüfen? Sie schreiben doch auch: „Das Ich kann sich nicht selbst sehen“. Ich kann mich also selbst nicht untersuchen, nicht selbst erkennen.
Pfr: Ja, das stimmt, aber nur zum Teil. Sie, gegenwärtiges Bewusstsein können sich tatsächlich nicht als ein Objekt wahrnehmen, Sie erkennen sich aber trotzdem immer selbst. Wenn ich Sie frage: „Sind Sie bewusst?“ dann werden Sie mir in jeder Lebenslage und vollkommen unabhängig von den Objekten, die Sie gerade wahrnehmen, immer mit „ja“ antworten. Bewusstsein weiß um sich selbst vor jeder anderen (objekthaften) Wahrnehmung. Bewusstsein ist immer selbstbewusst.
Frage: Ich weiß also immer, dass ich wahrnehme. Aber kann dieses Wahrnehmen selbst wieder beobachtet werden?
Pfr: Ja, und diese Selbstbeobachtung stellt einen unendlichen Regress von Spiegelungen dar. Diese Spiegelungen sind dem Bewusstsein immanent. Bewusstsein „ist“ die unendliche Spiegelung seiner selbst. Der Beobachter und das Beobachtete sind dabei nicht getrennt. Wenn ich die obige Frage ergänze und Sie also frage: „Wissen Sie, dass Sie bewusst sind?“, dann werden Sie auch diese Frage kaum verneinen. Wer kann um die Bewusstheit wissen? Nur etwas, das ebenfalls bewusst ist, oder nicht? Somit führt die Frage nach dem Wissen über das Bewusstsein wieder zu Bewusstsein. Bewusstsein weiß also immer um sich selbst als Bewusstsein. Es steht sich selbst nicht in einem Subjekt-Objekt-Verhältnis gegenüber.
Frage: Aber ich kann mich nicht „gedanklich“ erkennen, durch Nachdenken erfassen, oder?
Pfr: Richtig. Gedanken sind inhaltlich nie deckungsgleich mit der direkten Erfahrung im Hier und Jetzt. Aber die Wahrnehmung, die uns als „Selbst“ ausmacht, das Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken findet immer in der Gegenwart statt. Wenn Sie ein Geräusch hören, dann ist da einfach „jetzt“ ein Geräusch, mehr nicht. Wenn Sie eine Farbe sehen, dann ist da „jetzt“ eine Farbe, mehr nicht. Das Geräusch ist das Hören, die Farbe ist das Sehen. Das lässt sich gedanklich nicht erfassen. Aber auch die Gedanken erscheinen uns immer „jetzt“. Es gibt für uns, dem bewussten Erleben, nur „jetzt“.
Bewusstseinszustände und Erleuchtung
Frage: Sie betonen, dass das Bewusstsein grenzenlos ist. Ich habe aber den Eindruck, dass ich irgendwo lokalisiert bin. Es scheint einen Ort zu geben, von dem das Bewusstsein ausgeht.
Pfr: Es gibt nicht wirklich einen solchen Ort. Bewusstsein besitzt keinen Ort und keine Zeit. Raum und Zeit sind Gegenstand der Wahrnehmung und nicht Eigenschaften des Wahrnehmenden. Es gibt zwar eine geometrische Mitte, von der aus der Raum gesehen wird, aber auch diese geometrische Mitte wird von uns als solche so „erfahren“. Wir als Bewusstsein haben keine Mitte, keine Dimension. Man könnte auch sagen: Wir sind immer mit uns selbst vereint. Zwischen uns und unserem Selbst passt kein Blatt, gibt es keine Distanz. Es existiert nur Bewusstsein und dieses ist niemals nicht anwesend. Alles andere sind gedankliche Konzepte.
Frage: Woher kommt das Bewusstsein? Erscheint es wie von Zauberhand aus dem Nichts?
Pfr: Bewusstsein erscheint nicht aus dem Nichts. Es „ist“ wissendes Nichts und es existiert ewig, d.h. ohne zeitlichen Bezug. Dagegen erscheinen Gegenstände, Gedanken und Gefühle tatsächlich aus dem Nichts. Das sind objekthafte Formen, die dieses Nichts „kurzzeitig“ annimmt. Ja, diese Verwandlung ist Zauberei, ein magisches Theaterspiel.
Frage: Aber wozu produziert Bewusstsein diese Welt und warum nicht eine andere?
Pfr: Wofür, wozu, wieso? Diese kausalen Fragen suchen nach einer Antwort im Gegenständlichen, im Objektiven. Sie fordern eine schlüssige Darlegung im Relativen, im Beschreib- und Vergleichbaren. Gäbe es eine formulierbare Antwort, dann wäre sie zwangsläufig immer relativ, unvollständig und eingeschränkt. Alle Antworten beruhen auf dem Prinzip der Trennung. Das eine ist so, weil das andere anders ist. Oder das eine ergibt das andere. Das Absolute, das Unbeschreibbare, lässt sich mit diesen Fragen nicht fassen. Es ist immer jenseits aller Fragen. Im Übrigen: wenn die Welt anders wäre, dann würden wir vermutlich dieselbe Frage stellen, eben nur anders…
Frage: Wie erklären Sie verschiedene Bewusstseinszustände wie Wachheit, Meditation, Traum und Flow?
Pfr: Es gibt keine Bewusstseins-Zustände. Bewusstsein ist immer was es ist: bewusst. Aber die vom Bewusstsein erlebten Inhalte variieren in unendlicher Vielfalt. Wenn die inhaltliche Eigenschaft des Bewusstseins fokussiert, dann entstehen verschiedene erlebte Zustände von Tiefschlaf, über die Traumphase bis zum wachen Zustand. Flow ist ein kreativer Zustand in der Wachheit, in dem der begrenzende Ich-Gedanke abwesend ist. In der Meditation ereignet sich etwas Ähnliches, sie stellt eine De-Fokussierung in der Wachheit dar. Alle diese Zustände werden erlebt, sie sind Ausdruck desselben Seins. Mit uns selbst (mit dem was wir sind!) geschieht dabei rein gar nichts.
Frage: Gibt es Erleuchtungsmomente, in denen das Unsagbare wie Einssein, Leere oder vollkommene Freiheit direkt erfahren werden kann?
Pfr: Ja, und es gibt NUR diese Erfahrung. Wir erleben die Welt immer genau so und wir haben sie nie anders erlebt. Genau jetzt in diesem Moment nehmen Sie die Welt so wahr. Sie sind das wahrnehmende Bewusstsein und können gar nicht anders. Doch mit dem Gedanken der Trennung, insbesondere der persönlichen Trennung, wird diese Erfahrung scheinbar verdeckt bzw. eingefärbt. Untersucht man den Gedanken, kann man bemerken, dass auch dieser Gedanke vom Bewusstsein (von Ihnen!) bezeugt wird, dass auch sein Farbschleier Teil der ganzheitlichen Sicht ist. In der Folge wird der farbige Schleier langsam lichter.
Frage: Aber gibt es nicht besondere Momente, in denen kein Ich-Gefühl vorhanden ist? Wird dann nicht „reines Gewahrsein“ direkt erfahren?
Pfr: 1. Ja, es gibt Momente, in denen kein Gedanke an ein separates Ich auftaucht. Das geschieht relativ häufig, eigentlich die meiste Zeit, oder nicht? 2. Als „reines Gewahrsein“ wird manchmal der „Moment“ bezeichnet, in dem zwar Bewusstsein (bewusstes Wissen um die eigene Existenz), aber sonst kein erlebter Inhalt des Bewusstseins vorhanden ist. Dies ist unser natürlicher, ursprünglicher „Zustand“, der Tiefschlaf kommt ihm nahe.
Frage: Ich habe die Entdeckung meiner wahren Natur als Bewusstsein als sehr freudvoll erlebt. Nun sind Freude und Glück aber Objekte der Wahrnehmung und nicht das Bewusstsein selbst. Wie hängt das zusammen?
Pfr: Die Wiederentdeckung der eignen Natur wird regelmäßig als freudiges Ereignis erlebt. Die Erkenntnis triggert derartige Empfindungen und Gefühle. Und richtig, diese Reaktionen auf körperlicher Ebene stellen Objekte dar und sind somit per se nicht dauerhaft. Sie ebben ab oder verwandeln sich sogar in ihr Gegenteil. Sie sind im Grunde relativ bedeutungslos. Aber die nicht objekthafte Erfahrung unserer selbst ist dauerhaft und sie kann durchaus metaphorisch über Ausdrücke wie Freude (Abwesenheit von Leid), Friede (Abwesenheit von Konflikt und Wettbewerb) und Liebe (Abwesenheit von Trennung) charakterisiert werden. Die kurzzeitige Freude auf körperlicher Ebene ist so etwas wie das Echo einer universellen, spirituellen Freude, die niemals vergehen kann.
Entwicklung, Freiheit, Schmerz
Frage: Gibt es so etwas wie Entwicklung, Evolution, spirituelles Wachstum?
Pfr: Da muss man unterscheiden. Die reine Existenz (Bewusstsein) entsteht nicht, entwickelt sich nicht und wächst nicht. Nur die Objekte der Wahrnehmung entstehen, entwickeln sich, wachsen. Die wahrgenommene Welt ist in jedem Moment neu und einzigartig. Sie „neut“ sich ständig wie die Formen in einem Kaleidoskop.
Frage: Welchen Sinn haben persönliche Erkenntnisse, wenn es keine echte Entwicklung gibt?
Pfr: Echte Erkenntnisse erinnern Bewusstsein an sich selbst, vermindern seine Selbstverschleierung. Man kann das durchaus als Entwicklung werten, allerdings nur aus der Perspektive des Irrtums. Wenn ich eine Fata Morgana in der Wüste für einen See halte und dann den See als Täuschung erkenne, dann kann man das durchaus als Entwicklung werten. Tatsächlich bleibt dabei alles wie es war, eine Spiegelung von heißer Luft in der Wüste.
Frage: Können Verbundenheit, kreative Prozesse und Autonomie nebeneinander existieren oder schließen sie sich aus?
Pfr: Bewusstsein ist unendlich kreativ, voller Entwicklungs- und Entfaltungspotential. Vollkommen autonom. Diese Autonomie geht durch den persönlichen Trennungsgedanken scheinbar verloren. Wettbewerb und Fremdbestimmung entstehen. Mit der Rückerinnerung an die Verbundenheit kommen die kreativen Prozesse wieder in Gang. Was Sie als „Nebeneinander“ bezeichnen gehört also zusammen. Wir sind mit allem verbunden und gleichzeitig absolut frei. Ich bekomme eine wohlige Gänsehaut, wenn ich versuche die Begriffe Verbundenheit und Autonomie als ein und dasselbe zu verstehen. Aber es ist definitiv so.
Frage: Aber Determinismus und Freiheit schließen sich doch aus?
Pfr: Nicht für das Absolute, das Ganze. Versteht man Freiheit als Unabhängigkeit, dann ist das Ganze frei. Wovon sollte es abhängen? Es gibt ja nichts anderes.
Frage: Ich habe manchmal den Eindruck, dass Entwicklungsprozesse schmerzliche Trennungsgefühle auslösen. Bringt Entwicklung Leiden mit sich?
Pfr: Ich glaube es ist umgekehrt. Zuerst ist das Trennungsgefühl da und nun werden Entwicklungen schmerzhaft empfunden, da sie scheinbar mit Verlust einhergehen.
Frage: Entwicklung hat ja auch etwas mit unseren Wünschen zu tun. Haben unsere Wünsche einen Wert? Erfüllt das Universum Wünsche?
Pfr: Individuelle Wünsche stehen immer im Konflikt mit Wünschen anderer „Individuen“. Ein Universum, das den einen erfüllt, versündigt sich am anderen. Das Universum kann daher nur Wünsche erfüllen, die aus dem universellen Gespür der Verbundenheit erwachsen. So verstehe ich die Wunscherfüllung in Märchen. Damit belohnt Bewusstsein sich selbst.
Frage: Ehrlich gesagt kann ich das alles nicht richtig glauben. Es gibt einfach zu viel Schmerz auf dieser Welt!
Pfr: Das ist wahr. Schmerz ist schlimm, das wirkliche Elend. Aber schmerzt es Sie im Augenblick? Vielleicht habe ich Glück, die meiste Zeit im Leben schmerzt es mich nicht. Und jetzt in diesem Moment auch nicht. Ist das Leben so schmerzhaft? Schmerz und Leid sind NICHT dasselbe. Leid hat mit unseren Ängsten zu tun, mit unserer falschen Vorstellung von uns selbst und unserer Sterblichkeit. Schmerz dagegen ist eine Wahrnehmung. Zu intensive Wahrnehmungen schmerzen. Aber es gibt Menschen mit unsäglichen Schmerzen, die kaum leiden. Dagegen gibt es schmerzfreie Menschen, die unter ihrem Dasein unsäglich leiden. Letztere sind mit Sicherheit die Mehrheit.
Frage: Sie sagen, dass die Isolation des ICH der Grund sei für alles Leid auf der Welt. Die Frage ist nur, wie es möglich ist, einen Weg heraus aus diesem Leid zu finden.
Pfr: Der Ursprung allen Leides ist der Glaube, dass Bewusstsein (das wir intuitiv immer als unser Ich auffassen) eine biophysikalische Eigenschaft des Körpers wäre und damit seine räumlichen und zeitlichen Begrenzungen teilt. Durch die Selbsterforschung wird (nicht theoretisch, sondern existentiell spürbar) offenbar, dass nicht der Körper das Bewusstsein, sondern das Bewusstsein den Körper erschafft und bezeugt. Zur selben Überzeugung gelangen Sie aber auch, wenn Sie tief in die Empfindungen eintauchen (auch in den Schmerz). Denn am Grund einer jeden Empfindung stoßen Sie auf deren Ursprung: Bewusstsein. Egal welchen Weg Sie nehmen, das ernsthafte Einlassen auf das was gegenwärtig ist, lindert die Angst vor dem Tod und befreit von der Auffassung der eigenen Mangelhaftigkeit und den damit verbundenen Kompensationsstrategien.
Hingabe, Kunst und Schönheit
Frage: Die Rückbesinnung auf das eigene Ich, wie Sie es im Kurs „Wer ist Ich“ praktizieren, hat für mich etwas philosophisch- theoretisches an sich und erscheint mir im Alltag wenig praktikabel. Ich erlebe die Auflösung der Trennung sehr viel stärker in der Hingabe an die Natur, in der Ästhetik, der Kunst, der Musik, im Körperempfinden und im unmittelbar erlittenen Schmerz.
Pfr: Das kann man so sehen. Das ist ein Manko, das der uralten Lehre des Vedanta schon immer anhaftet. Man nennt das Vorgehen, dem auch unser Kurs zumindest am Anfang grob gefolgt ist, den nach „innen gewandte Weg“ oder auch den „way of diskrimination“, wobei Bewusstsein von seinen Inhalten getrennt wird. Das ist wichtig, um die alte, konventionelle Sicht zu überwinden, wonach die individuelle Person mit ihrem Körper für die bewusste Wahrnehmung verantwortlich ist. Das kann aber nur der erste Schritt sein. Zwangsläufig muss ein zweiter Schritt folgen, der das Bewusstsein wieder mit seinen Inhalten vereint. Das ist der „nach außen gewandte Weg“ und wird zum Beispiel von den Sufis über den Ausspruch: „Everything is gods face“ charakterisiert. Diese Verschmelzung im Sein wird insbesondere in der Tandrischen Tradition und in der Mystik verfolgt und wurde in unserem Kurs zugegebenermaßen am Ende nur relativ kurz aufgegriffen. Die Reihenfolge der beiden Wege ist aber nicht zwingend. Es kann genauso berechtigt sein, sich zunächst ausschließlich auf den zweiten Schritt konzentrieren, auf das sich Hingeben, das Aufgehen und Verschmelzen in der Natur, der Schönheit, dem Schmerz, in alldem was ist. Egal wie man es angeht, am Ende steht die spürbare (nicht theoretische!) Erfahrung der Verbundenheit allen Seins.
Schönheit (Sie sagen „Ästhetik“) ist für mich ein Ausdruck für die Verschmelzung des Wahrnehmenden mit den Objekten seiner Wahrnehmung, so wie Liebe die Verschmelzung zweier Menschen charakterisiert. Diese Schönheit schließt alles Wahrnehmbare ein, bis hin zum intensiven Schmerz. Wichtig ist mir zu erkennen, dass Schmerz in diesem Sinne eine besonders intensive, also kraftvolle Wahrnehmung darstellt und nicht mit „Leid“ verwechselt werden darf. Psychologisches Leid erwächst nicht aus einem Gefühl von Identität, sondern aus der fälschlichen Auffassung von Isolation und Trennung. Schmerz und Leid sind nicht dasselbe.
Ich kann Ihre Leidenschaft für Musik, Natur- und Körperempfinden sehr gut verstehen, da ich sie auch teile. Aber vielleicht hilft ja auch die etwas theoretische Herangehensweise des „nach innen gerichteten Pfades“, um sich Klarheit über sich selbst zu verschaffen.
Frage: Was mich in diesem Kontext nun brennend interessiert, ist, aus welchem Grund sie den ersten Weg im Seminar vorangestellt haben: Vielleicht weil sie – wohl zurecht – erwarten, dass die Teilnehmer sich im Kollektiv nicht öffnen und über ihre Empfindungen berichten würden?
Pfr: Ja auch. Und didaktisch als Kurs eignet sich der erste Weg besser. Die meisten Menschen widmen sich existentiellen Themen wie der eigenen Ich-Auffassung erst dann, wenn ihnen bewusst wird, dass sie darunter leiden. Das Ziel des ersten Teils dient zunächst dazu dieses Leid zu lindern. Der zweite Teil, der Weg der Verschmelzung und Liebe, setzt eine gewisse Offenheit, Wagemut und Gefühlstiefe voraus, die aber nicht jeder gleich mitbringt.
Frage: Ein Aspekt, der mich nach wie vor jedoch nicht los lässt, ist die Frage, warum gerade Schmerz jenen Bewusstseinszustand der Vollkommenheit hervorrufen kann. Wenn ich es so präzise wie möglich formulieren müsste, würde ich sagen, Schmerz ist das Bewusst-Werden des Endlichen – nichts desto trotz scheint mir jene These als begründendes Element zur Erkenntnis der Unendlichkeit als unzulänglich. In welchem Aspekt unterscheidet es sich in seiner Wirkung schlussendlich von einem unmittelbaren Glücksgefühl (bei z.B. frisch Verliebten)?
Pfr: Gar nicht. Der unmittelbare Glücksmoment IST die Erfahrung der Vollkommenheit. Er kann in unterschiedlichen Situationen erlebt werden. Gefühle wie Freude, Leichtigkeit, Begeisterung sind sozusagen der emotionale Nachhall, der von dem Erlebnis der Vollkommenheit getriggert wird.
So wie ich es verstehe, in Kürze: Bewusstes Sein ist unbegrenzt und unendlich. In Form des menschlichen Geistes ist es in der Lage sich selbst als eine gegenständliche „endliche“ Welt zu erleben. Dabei kann der endliche Geist mit seinen eingeschränkten Sinnen nur einen begrenzten Ausschnitt wahrnehmen und im Prozess dieser Wahrnehmung „vergisst“ Bewusstsein scheinbar sein unbegrenztes Wesen. Mehr noch, es schreibt sich selbst in Form des menschlichen Körpers eine endliche und begrenzte Identität zu. Diese scheinbare Kontraktion ist aber glücklicherweise nicht stabil und so werden wir immer wieder an unsere wahre unbegrenzte Natur erinnert. Hervorragende Beispiele findet man in der Kunst. Gerade die Kunst verschiedener Epochen lotet die Möglichkeiten des Endlichen aus, um auf das Unendliche hin zu deuten. Die Romantik macht das zum Beispiel durch seine erhabenen Naturmotive und aufs Transzendente verweisende Szenen, im Impressionismus wird (noch direkter) das Gegenständliche im Lichtspiel aufgehoben, wodurch die Grenzen verwischen und der Zusammenklang allen Seins betont wird. Aber auch im tiefen Schmerz des Verlustes, den alles Endliche zwangsläufig mit sich bringt, schimmert das Unendliche. In diesem Schmerz verzweifelt Bewusstsein an seiner selbstauferlegten Beschränkung und erahnt seine wahre Natur. Kennen Sie Rilkes Achte Elegie der Duineser Elegien? Ist mir gerade dazu eingefallen.
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