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Meditation zur Selbsterforschung

In der folgenden Meditation möchte ich mit Ihnen auf Selbsterforschung gehen. Die Selbsterforschung ist eine uralte Praxis, die insbesondere in indischen Traditionen gepflegt wurde. Aber der kulturelle Hintergrund braucht uns hier nicht berühren. Es geht schlicht und einfach um die Erforschung unserer ureigenen Natur. Und diese Natur ist zeitlos und unabhängig von kulturellen oder religiösen Ansichten. Selbsterforschung heißt einfach: Ergründen-wollen, was wir genau meinen, wenn wir uns selbst mit „Ich“ bezeichnen. Was ist die Natur dieses „Ich“? 


1. Entdeckung des Bewusstseinsraumes

Nehmen Sie eine bequeme Position ein. Es ist egal, ob Sie sitzen oder liegen. Suchen Sie einen ruhigen Ort. Schließen Sie dann die Augen und lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihr Körperempfinden, z.B. auf das Gefühl in Ihrem Bauchraum direkt unter Ihrem Bauchnabel. Lösen Sie sich dann von der gedanklichen Vorstellung der äußeren Körperform. Bemerken Sie, dass Ihre Empfindungen in einer Art inneren Raum schweben, der selbst keine Form hat? Wenn Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit in diesem inneren Raum umherwandern, dann werden Sie feststellen, dass der Raum von Ihren Empfindungen vollständig ausgefüllt ist. Außerdem werden Sie keine Grenze des Raumes finden. Egal in welche Richtung Sie Ihre Achtsamkeit lenken, Sie werden nirgendwo ein Ende des Raumes finden.

Versuchen Sie nun zu ergründen, was Sie in diesem Empfindungsraum spüren. Vielleicht stellen Sie einen sanften Druck fest, Spannungen, Wärme. Ja klar, es ist schwer Empfindungen in Worte zu fassen. Aber egal was Sie spüren und wie Sie es nennen, Sie nehmen die Körperempfindungen jetzt, in diesem Moment wahr. Alles was Sie feststellen können, erscheint Ihnen im gegenwärtigen Augenblick. Das kommt Ihnen vielleicht selbstverständlich vor, ist es aber nicht. Normalerweise beschäftigen wir uns mit vergangene oder künftigen Erfahrungen. Der Moment wird eher weniger beachtet. Aber alles findet jetzt statt. Ist es nicht so?

Auch das Folgende werden Sie zunächst für selbstverständlich halten: Machen Sie sich klar, dass in diesem Moment ein Bezeugen, ein Erfahren der Bauchgefühle vorhanden ist. Egal was Sie im Bauchraum vorfinden, es wird augenblicklich bewusst erlebt. Was ist das aber, das die Körpergefühle wahrnimmt? Wer oder was ist sich dem momentanen Druck, der Spannung, der Wärme bewusst? Die Fragen sind weniger einfach als sie klingen. Normalerweise halten wir uns für den Körper, der für sämtliche Wahrnehmungen verantwortlich ist, schließlich hat er Augen und Ohren, kann tasten und spüren. Aber wer empfindet in diesem Augenblick den Körper? Nimmt der Körper nun wahr oder wird er wahrgenommen?

Untersuchen wir das Problem weiter. Wenden Sie sich dazu jetzt dem Strom Ihrer Gedanken zu. Falls gerade kein Gedanke da ist, dann genießen Sie die Gedankenruhe. Aber wahrscheinlich befassen Sie sich gerade noch mit dem eben Gesagten. Auch wenn das nicht ganz einfach ist: Versuchen Sie den inhaltlichen Aspekt Ihrer Gedanken außer Acht zu lassen und konzentrieren Sie sich auf die gegenwärtige Gedankenform. Gedanken erscheinen unter anderem als Bilder oder als Worte und Töne. Besonders ausgeprägt ist die innere Stimme, die fast unentwegt vor sich hinplappert. Beobachten Sie, wie Ihre innere Stimme in diesem Moment spricht. Dabei kommt es nicht auf die Aussage an, sondern auf die unmittelbare Erfahrung der Stimme. Wie laut spricht die Stimme? Welche Klangfarbe hat sie? Alternativ können Sie in Gedanken eine Melodie summen und deren Tonfolge lauschen.

Machen Sie sich jetzt wieder klar, dass in diesem Augenblick ein Bezeugen der Gedanken vorhanden ist. Die Gedanken finden nicht im Verborgenen statt, sondern sie werden gesehen bzw. gehört, je nach dem. Was ist das, das die Gedanken bemerkt? Wer ist sich dieser Gedanken bewusst? Normalerweise halten wir uns für die Denkerin oder den Denker, die oder der die Gedanken erzeugt. Aber wer lauscht den Gedanken? Wer ist sich der Gedanken bewusst? Und was bedeutet das eigentlich, sich etwas bewusst zu sein?

Bleiben wir bei der inneren Stimme. Achten Sie jetzt insbesondere auf die Zwischenräume zwischen den einzelnen Worten oder Tönen, auf den Moment, der folgt, wenn ein Wort oder Ton verklungen ist bzw. auf den Moment, bevor das nächste Wort oder der nächste Ton einsetzt. Wenn das für Sie schwierig ist, dann gibt es eine Hilfe: Verlangsamen Sie Ihren Gedankenstrom, um sich die Übergänge zu verdeutlichen. Sprechen Sie zum Beispiel in Gedanken langsam wie in Zeitlupe: „Worin (Pause) höre (Pause) ich (Pause) das“.

Fragen Sie sich dabei, worin die Worte auftauchen. Alles was erscheint, muss vor irgendeinem Hintergrund erscheinen, sonst wäre es nicht wahrnehmbar. Warum ist das so? Ganz einfach: Jeder Text ist nur lesbar vor dem kontrastierenden weißen Papier, auf dem er gedruckt ist. Jeder Film verläuft auf einer Leinwand oder einem Bildschirm. Also bedürfen auch ihre Gedanken einen Hintergrund, vor dem sie sich abheben können. Was ist das aber für eine Leere oder Stille, in der die Gedanken sicht- bzw. hörbar werden? Können Sie bemerken, dass Ihnen die jeweilige gedankliche Wahrnehmung in einer Art geistigem Raum erscheint, den wir Bewusstsein nennen?

Beachten Sie, dass der hintergründige Raum immer präsent ist, während Ihre Gedanken kommen und gehen. Bemerken Sie, dass sich der hintergründige Raum mit den Gedanken nicht ändert. Er ist völlig unabhängig von den gedanklichen Inhalten, die in ihm erschienen. Nicht Ihre Gedanken bilden eine Konstante, sondern die gegenwärtige Präsenz dieses umfassenden bewussten Raumes.

Nun wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit einem beliebigen Geräusch Ihrer Umgebung zu und lauschen einen Augenblick dem speziellen Klang. Auch hier kommt es nicht auf die Deutung des Geräusches, sondern lediglich auf dessen direkte Erfahrung an. Sie können etwa auf die Lautstärke achten, Sie können sich fragen, ob das Geräusch dumpf oder hell, kontinuierlich oder rhythmisch klingt. Auch wenn es Ihnen ganz normal vorkommt: Stellen Sie fest, dass auch das Geräusch in diesem Moment bezeugt wird. Egal was erklingt, Lautstärke und Klangfarbe werden bewusst wahrgenommen.

Geräusche sind flüchtig. Achten Sie auf den Moment, in dem ein Geräusch verklingt und ein neues einsetzt. Fragen Sie sich dabei, worin die Geräusche auftauchen und wieder verhallen. Wie gesagt, alles was erscheint, muss sich von einem Hintergrund abheben. Was ist das für eine Stille, in der die Geräusche hörbar werden? Ist da nicht auch etwas vorhanden, wenn gerade kein Geräusch ertönt, unhörbar zwar, aber dennoch anwesend?

 Körperempfindungen, Gedanken und Sinneswahrnehmungen haben also alle etwas gemeinsam: sie werden bewusst bezeugt. Während die einzelnen Eindrücke wechseln, bleibt das Bezeugen immer unverändert erhalten. Es kommt uns so vor, als ob die Eindrücke in einer Art bewusstem Raum auftauchen und wieder verschwinden. Aber erscheinen uns sämtliche Eindrücke tatsächlich im selben Raum oder bezeugen wir Körperempfindungen, Gedanken und Sinneswahrnehmungen in unterschiedlichen Räumen? Mit dieser Frage befassen wir uns im zweiten Teil unserer Meditation.


2. Unbegrenztheit des Bewusstseinsraumes

Normalerweise halten wir unsere Gedanken und Gefühle für einen Ausdruck unseres inneren Erlebens, während wir Geräusche, Seheindrücke und andere Sinneswahrnehmungen der äußeren Welt zuschreiben. Diese Trennung hält aber unserer Erfahrung nicht stand, wie wir im Folgenden untersuchen wollen.

Fokussieren Sie hierzu erneut Ihre Gedanken und wandern dann mit Ihrer Aufmerksamkeit möglichst langsam und achtsam zum Hören eines beliebigen Geräusches. Versuchen Sie zu ergründen, ob auf dem Weg von „Innen“ nach „Außen“ tatsächlich eine Grenze überschritten wird. Müssen Sie in ein anderes „Medium“ wechseln? Schließlich müsste nach gängiger Auffassung Ihre Aufmerksamkeit bei dem Wechsel den inneren Raum Ihres persönlichen Bewusstseins verlassen und in die äußere Welt eintreten und umgekehrt. Gäbe es ein „Innen“ und „Außen“, dann müsste also diese Grenze erkennbar werden? Gibt es tatsächlich eine Grenze?

Achten Sie jetzt auf die Position, aus der heraus Sie die beiden Höreindrücke wahrnehmen. Wandern Sie noch einmal von dem „äußeren“ Geräusch hin zu Ihrem „inneren“ Denken und umgekehrt. Wechselt mit der Aufmerksamkeit tatsächlich die Richtung der Wahrnehmung, die einmal nach „Außen“ und einmal nach „Innen“ gewendet ist? Gibt es tatsächlich ein „Innen“ und „Außen“? Oder nehmen Sie beide Höreindrücke nicht immer aus genau derselben Position wahr? Umspannt dasselbe Bewusstseinsfeld nicht sämtliche Höreindrücke, egal welcher Art, geistig oder real, sie sind?

Stellen Sie sich nun vor, dass alle Ihre Wahrnehmungen, seien es Sinneswahrnehmungen der äußeren Welt, Wahrnehmungen ihrer Gedanken oder auch Körperempfindungen in einem virtuellen Raum erscheinen, der wie ein realer geometrischer Raum sämtliche Eindrücke enthält. Man könnte diesen Raum analog zu den bisherigen Feststellungen den „Bewusstseinsraum“ nennen. Spazieren Sie nun mit Ihrer Aufmerksamkeit in diesem virtuellen Raum hin und her.

Legen Sie dazu die Hand auf die Tischfläche. Konzentrieren Sie sich zunächst auf das Spüren Ihrer Hand, auf die Wärme und den Druck unter der Handfläche. Gleiten Sie dann mit der Aufmerksamkeit zum Sehen eines Gegenstandes, zum Beispiel zu einem Bild an der Wand. Vom Sehen des Gegenstandes wandern Sie dann zum Hören Ihrer inneren Stimme und von dort zurück zum Spüren der Empfindungen in Ihrem Bauches. Schließlich wechseln Sie vom Spüren des Bauches wieder zur Tastempfindung unter Ihrer Hand. So unterschiedlich die Eindrücke auch sind, müssen Sie wirklich, um von dem einen zum anderen zu gelangen, etwas verlassen oder irgendwo eintreten? Müssen Sie den Raum wechseln? Je weniger Sie die inhaltlichen Unterschiede der jeweiligen Empfindung beachten, desto mehr verschmelzen die verschiedenen Eindrücke zu einem organischen Ganzen. Wiederholen Sie die Übung so lange bis Ihnen der Spaziergang leicht und organisch vorkommt.

Im Laufe der Übung sollte eindeutig klar geworden sein, dass es nur einen einzigen Bewusstseinsraum gibt. Und Sie haben niemals etwas erlebt, dessen Erfahrung nicht in diesem Bewusstseinsraum erfolgt ist. Demnach macht die Unterscheidung zwischen innerem Bewusstsein und äußerer Welt keinen Sinn. Sämtliche Erfahrungen bilden eine nahtlose Totalität. Die alltägliche Auffassung, dass der Körper mit seinen Sinnesorganen die äußere Welt bezeugt ist definitiv falsch. Der Körper kann nichts erfahren, er ist stattdessen selbst Gegenstand der Erfahrung. Nicht der Körper „besitzt“ Bewusstsein, sondern er wird vom Bewusstsein ebenso bezeugt wie sämtliche andere Eindrücke der scheinbar „äußeren“ Welt auch. Die konventionelle Aufteilung von „Innen“ und „Außen“, von „in mir“ und „nicht in mir“ ist nicht länger haltbar, sondern entpuppt sich als rein gedankliches Konzept, das durch die direkte Wahrnehmung widerlegt wird.

Aber kehren wir nochmal zur Untersuchung des Bewusstseinsraumes zurück. Begeben Sie sich nochmal auf einen kleinen Spaziergang, der Sie von einem Eindruck zum anderen führt. Fragen Sie sich dabei erneut, wer oder was die verschiedenen Wahrnehmungen in dem bewussten Raum gegenwärtig bezeugt. Wer oder was ist sich der Seheindrücke, der akustischen Reize, der Tast- und Körperempfindungen bewusst? Sind es nicht Sie selbst, die oder der die Erfahrung macht? Sie sagen: „Ich sehe das Bild“, „Ich höre die Stimme“, „Ich spüre den Bauch“. „Ich“ ist also ein Ausdruck für dasjenige, das die augenblicklichen Zustände im Bewusstseinsraum wahrnimmt. Anders ausgedrückt könnte man „Ich“ mit der hintergründigen bewussten Präsenz bzw. mit der wissenden Anwesenheit gleichsetzen. Der Bewusstseinsraum – das sind Sie selbst.

 Machen Sie sich klar, dass dieser Bewusstseinsraum, dieses „Ich“ selbst keine objekthaften Eigenschaften haben kann. Wäre „Ich“ ein Objekt, so müsste sich wiederum etwas (ein Raum bzw. ein Hintergrund) finden lassen, das dieses Ich-Objekt entsprechend als Objekt wahrnimmt. Finden Sie neben der Erfahrung bewusst zu sein, etwas zweites, das sich dem Bewusstsein bewusst ist? Ganz offensichtlich nicht. „Ich“ ist demnach kein Objekt, sondern die einzige nicht-objekthafte Erfahrung, die es gibt. 


3. Bewusstsein und Inhalt verschmelzen

An dieser Stelle sind wir an einem wichtigen Punkt angelangt. Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass wir uns selbst, unser Ich, als der unveränderliche, gegenwärtige und bewusste Hintergrund aller inhaltlichen Erfahrungen verstehen können. Dagegen sind alle inhaltlichen Erfahrungen, die Wahrnehmungen unseres Körpers, unsere Gefühle und Gedanken, aber auch sämtliche Sinnesreize wie Sehen, Hören, Tasten flüchtig, sie kommen und gehen, und können daher nicht Teil dessen sein, was wir als unsere bleibende Substanz, unser Ich, auffassen.

Diese Betrachtungsweise ist allerdings unvollständig. Hierbei verbleibt eine klare Trennung zwischen den flüchtigen Objekten der Welt, die uns als Reize, Gedanken und Empfindungen erscheinen, und der bewussten Bezeugung dieser Objekte, die wir als unsere Natur ansehen. Bewusstseinsraum und dessen Inhalte bilden ein Gegenüber. Es existiert nach wie vor eine strikte Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt. Der folgende letzte Teil der Meditation soll zeigen, dass es auch diese Trennung zwischen Subjekt und Objekt, Raum und Inhalt nicht gibt.

Schließen Sie nochmal die Augen und konzentrieren Sie sich wieder auf ein Geräusch in Ihrer Umgebung. Vielleicht hören Sie ferne Autogeräusche, das Gezwitscher von Vögeln vor dem Fenster oder die Sprache einer Person im Raum. Alternativ können Sie auch der in Ihren Gedanken existierenden inneren Stimme lauschen, oder Sie summen im Geist eine Melodie. Die Art, real oder geistig, und die Bedeutung des Geräusches spielt keine Rolle. Achten Sie stattdessen genau darauf, was Sie hören. Vermutlich werden Sie zustimmen, dass sich das Geräusch aus wechselnden Lautstärken, Tonhöhen, Klangfarben und einem bestimmten Rhythmus zusammensetzt.

Fragen Sie sich, ob Sie beim Vorgang des Hörens zwischen dem wahrgenommenen Geräusch und demjenigen, der hört, unterscheiden können. Lässt sich der jeweilige Höreindruck in zwei Teile aufteilen? Gibt es einen Anteil des Geräusches, den Sie z.B. dem zwitschernden Vogel und einen anderen Anteil, den Sie sich selbst als dem Zuhörer zuschreiben können?

Wandern Sie vom wahrgenommenen Geräusch mit der Aufmerksamkeit langsam und achtsam hin zu der Erfahrung des Geräusches, also hin zu Ihnen selbst, als den Zeugen des Geräusches. Hilfreich kann hier die räumliche Vorstellung sein. Es gibt ein fernes Geräusch und eine persönliche Nähe. Gleiten Sie mit der Achtsamkeit vom fernen Geräusch zu Ihrer persönlichen Nähe. Wechseln Sie zwischen dem Geräusch und Ihrer Erfahrung des Geräusches hin und her. Wenn zwischen dem Geräusch und Ihnen eine Trennung wäre, dann müsste sich jetzt dazwischen eine Grenze finden lassen. Ist eine solche Grenze vorhanden? Müssen Sie beim Wechseln der Aufmerksamkeit eine Grenze überschreiten, das Medium wechseln? Sind Geräusch und dessen Erfahrung tatsächlich getrennt?

Nein, Sie werden zustimmen, das gehörte Geräusch kann weder Ihnen als bewusste Wahrnehmung noch dem Objekt allein zugeschrieben werden. Anders ausgedrückt: Das Hören des Geräusches ist das Geräusch, das Erfahren des Objektes ist das Objekt. Im Augenblick der Wahrnehmung sind Subjekt und Objekt eins. Es gibt keinen Hörenden und es gibt kein Gehörtes. Es gibt nur „Hören“. Das ist unsere direkte Erfahrung!

Das eben Gesagte kann auf sämtliche Wahrnehmungen, seien es Sinneswahrnehmungen, Körperwahrnehmungen, Gedanken und Gefühle übertragen werden. Sammeln Sie zum Schluss die Aufmerksamkeit nochmal im Bauchraum. Achten Sie nochmal auf das, was Sie dort spüren. Versuchen Sie auch jetzt wieder eine Trennung zu finden, eine Unterscheidung zwischen der Empfindung selbst, Wärme, Druck, was auch immer, und deren bewusster Bezeugung. Ist neben der Empfindung selbst noch etwas Zweites vorhanden, das Sie als Subjekt, Zeuge, Ich, Bewusstsein bezeichnen könnten? Vermutlich werden Sie keine solche Trennung wahrnehmen.

Was bedeutet das? Wir haben eindeutig festgestellt, dass wir uns als das begreifen können, welches die flüchtigen Objekte der sogenannten Welt und unsere geistigen Objekte bewusst bezeugt. Wir sind der gegenwärtige Hintergrund aller Erfahrung, der bewusste Raum, in dem die Objekte unserer Erfahrung auftauchen und wieder vergehen. Wir selbst sind nicht flüchtig, sondern immer präsent. Das Bewusstsein verschafft uns eine dauerhafte und unveränderliche Basis.

Doch nun müssen wir eingestehen, dass zwischen uns als gegenwärtiges Bezeugen und den bezeugten Objekten kein Blatt passt. Im Augenblick der Wahrnehmung sind Subjekt und Objekt eins. Es gibt keinen „Raum“, der irgendetwas enthält, sondern Raum und Inhalt verschmelzen, sie durchdringen sich gegenseitig, ähnlich einem Film auf einer Leinwand. Ich bin also nicht nur der gegenwärtige Hintergrund der Erfahrung (die Leinwand), sondern auch die Gestalt, die dieser Hintergrund annimmt. Sie sagen zum Beispiel „Ich habe Hunger“, was nichts anderes heißt, als das das bewusste Ich sich im Augenblick in die Gestalt von Hunger verwandelt. Formen entstehen, indem ich, Bewusstsein, sie hervorbringe, ähnlich dem Wasser, das an der Oberfläche Wellenform annimmt. Das Bewusstsein tanzt die Form. Wir sind die Tänzer und somit auch der Tanz.

Was also ist unsere Natur? Sie ist immer beides, der bezeugende Hintergrund aller inhaltlichen Erfahrung und das vordergründige Objekt. So gesehen stimmt es auch, wenn wir uns selbst für einen Körper aus Fleisch und Blut halten. Ja, wir sind unser Körper. Aber eben nicht nur. In gleicher Weise sind wir die Blume, die wir sehen, oder der Wind, den wir spüren. Und während die Objekte wechseln, bleibt unsere Substanz ganz unberührt. So wie die Leinwand vom Film zwar gefärbt wird und somit der Form des Filmes folgt, so bleibt sie doch immer was sie ist, völlig frei und unabhängigen von den gezeigten Inhalten. Das Ich ist raumlos, zeitlos, unantastbar und es bleibt unversehrt, egal was passiert. Wir sind die gegenwärtige Präsenz von allem Sein. Das ist unsere Natur.

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